Eine Entwicklung, an deren Ende die nächste Meisterfeier stehen kann, ist jäh unterbrochen worden. Oder ist sie gar zu Ende? Die Romantik des «Remember 2013» – der Erinnerungen an den SCB, der im Frühjahr 2013 nach einer 1:3-Rücklage im Viertelfinal noch Meister geworden ist – verflüchtigt wie ein Morgennebel über der Aare.
Jussi Tapola, der grosse Bandengeneral, eben noch verglichen mit Scotty Bowman, ist von Lars Leuenberger ausgecoacht worden. Zum fünften Mal in Serie fehlt der SCB im Halbfinale. Das hat es seit dem Wiederaufstieg von 1986 am grünen Tisch noch nie gegeben. Der SCB steht in der längsten Krise seit der Rückkehr in die höchste Liga. In einer Phase der hartnäckigen Stagnation. Das Scheitern ist inzwischen so alltäglich geworden, dass das keiner mehr in der ganzen Tragweite erfasst.
Die Fans hatten vergeblich mehrmals in Sprechchören gefordert: «Mir wey gseh üse SCB.» Sie haben den wahren, den urigen, den echten, den wilden, den «bösen», den einschüchternden SCB im wichtigsten Spiel der Saison nicht gesehen. Schon nach zehn Minuten ist klar, dass Gottéron diese Partie gewinnen wird. Die Berner spielen wie im August. Ohne Intensität. Nahezu ganz fehlen Geradlinigkeit, Härte, Wasserverdrängung, Entschlossenheit, Wucht, Tempo. Die Qualitäten, die es ermöglicht haben, einen 1:3-Rückstand in der Serie aufzuholen und das 7. Spiel zu erzwingen.
Wie kann das sein? Jussi Tapola sucht keine Ausreden. Er stellt fest, dass Gottéron das Spiel 4:1 gewonnen hat und anerkennt die Leistung der gegnerischen Mannschaft. Er sagt, möglicherweise seien seine Männer im Bemühen, Strafen zu vermeiden, gehemmt gewesen. Weil man nicht so richtig wusste, was die Schiedsrichter tolerieren. Und ja, es sei eine der bittersten Niederlagen seiner Trainer-Karriere.
Obersportchef Martin Plüss steht Rede und Antwort. Ruhig, klug und besonnen. Er sieht über den Tag dieser Niederlage und dieser Enttäuschung hinaus das grosse Bild. Es geht ihm um eine Entwicklung: Wie können die Leistungen stabiler werden, wie das Fundament solider? Er hat im Laufe der Saison eine positive Entwicklung gesehen. An deren Ende, wenn sie so weitergeht, ja tatsächlich ein Titelgewinn stehen kann.
Martin Plüss sagt, er hätte sich bei einem Weiterkommen in den Halbfinal die gleichen Fragen gestellt wie nun nach dem Ausscheiden: «Was müssen wir tun, um besser und konstanter zu werden? An welchen Schrauben drehen?»
Für ihn steht ausser Frage, dass Jussi Tapola diese Entwicklung weiterführen wird. Der Finne hat sowieso einen Vertrag bis zum Ende der nächsten Saison.
Diese vernünftigen Töne nach einem im SCB-Selbstverständnis eigentlich unverzeihlichen Scheitern sind hochinteressant.
Früher, als sich General Manager Marc Lüthi noch in den Sport eingemischt und impulsiv Personalentscheide über die Köpfe der Sportabteilung gefällt und Trainer auch mal unmittelbar nach einem Spiel «standrechtlich» gefeuert hat, wäre Jussi Tapola seinen Job los gewesen. Aus dem einfachen Grund, weil er nun zum zweiten Mal im Viertelfinale gescheitert ist.
Der wahre Marc Lüthi hat den Sport immer vom Resultat her beurteilt. Weil der wahre SCB seinem Anhang Resultate schuldig ist. Wie Bayern München.
Aber Marc Lüthi ist altersmilde geworden. Wenn sein Obersportchef Martin Plüss das «System Tapola» weiterführen will, dann mischt er sich (noch) nicht ein. Wie im richtigen Leben gibt es halt immer hundert Gründe, etwas nicht zu tun, eine einschneidende Entscheidung vor sich herzuschieben. Statt ein polterndes «Fertig! So nicht!» vom obersten Chef ist das Motto nun von seinen Untergebenen: «Es ist doch gar nicht so schlimm. Weiter so!»
Ist das noch der wahre, der urige, der echte, der wilde, der «böse», der einschüchternde und letztlich immer wieder erfolgreiche SCB? Nein, wir erleben gerade einen Kulturwandel. Weg vom konsequenten Resultatdenken und hin zu Geduld und Entwicklung. Oder boshaft: von der arroganten Titelmaschine hin zum Bundesamt für Eishockey. Was durchaus zur Frage führen kann: Verliert der SCB still und leise seine Identität?
Martin Plüss betont, wie wichtig eine stabile Basis sei. Aber das grösste Problem hat er beim Fundament: bei den Torhütern. Der SCB hat das grösste Goalieproblem seiner Geschichte. Das sieht Jussi Tapola zwar nicht so und hat für Adam Reideborn das Wort «great» parat.
Aber das ist reiner Selbstbetrug. In der Torhüterfrage ist der Kaiser beim SCB nackt: Alle sehen, dass Adam Reideborn der schwächste ausländische Goalie der Liga ist. Aber keiner wagt es zu sagen.
Philip Wüthrich wechselt nach Ambri und der SCB hat – Stand heute – auf der Torhüterposition einen ausländischen Lottergoalie und die zwei Talente Andri Henauer und Christof von Burg. Beide noch ohne Erfahrung in der höchsten Liga. Der SCB hat – Stand heute – das schwächste Goalie-Duo der Liga. Die Saisonanalyse beginnt und endet mit der Torhüterfrage. Erst, wenn dieses Problem gelöst ist, kann an anderen Schrauben gedreht werden.
Auf dem Schweizer Markt gibt es keine Nummer 1. Das beste Angebot wäre der bei Kloten nicht mehr erwünschte Sandro Zurkirchen, der diese Saison in der Qualifikation besser war als Adam Reideborn. Eigentlich bleibt dem SCB nur eine unkonventionelle Lösung: Ein zweiter, aber viel besserer ausländischer Goalie neben Adam Reideborn, der einen Vertrag bis Ende nächster Saison hat.
Martin Plüss lässt sich in der Goaliefrage nicht provozieren. Immerhin schliesst er eine doppelte ausländische Lösung nicht aus.
Die Frage ist auch zu klären, ob Jussi Tapola zu viel Macht hat. Die sportliche Abteilung hat ihr Sinnen und Trachten auf den finnischen Trainer ausgerichtet. Das ist im Erfolg wunderbar und bequem. Aber im Misserfolg – und dieses Scheitern gegen Gottéron muss im SCB-Selbstverständnis ein Misserfolg sein – ist diese Ausrichtung zu hinterfragen.
Wie alle grossen Bandengeneräle neigt auch Jussi Tapola zu biblischem Führungsstil: «Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.» Dominik Kahun ist diesem Führungsstil zum Opfer gefallen und just vor Transferschluss nach Lausanne transferiert worden. Nun ist Dominik Kahun bei Lausanne der beste Skorer der laufenden Playoffs.
Die Mannschaft wird nächste Saison qualitativ ungefähr gleich gut sein. Kaisertransfers sind keine mehr möglich, höchstens dieses oder jenes Tauschgeschäft, wenn nach der Saison alle ihre Analysen gemacht haben. Am meisten Spielraum gibt es auf den Ausländerpositionen.
Am meisten Wirkung hätte natürlich eine Schocktherapie. Ein System-, Kultur- und Trainerwechsel. Weg vom skandinavischen Ausreden-, Entwicklungs- und Schablonenhockey. Zurück zum urigen, wilden, unberechenbaren, emotionalen, rauen nordamerikanischen Stil, der eigentlich der SCB-DNA besser entspricht. Interessant ist ja in diesem Zusammenhang, dass auch die ZSC Lions dem skandinavischen Hockey abgeschworen haben.
Aber Marc Lüthi ist altersmilde geworden. Das ist eigentlich schade.
PS: Am Donnerstagabend können die SCB-Frauen Meister werden. Ohne jede Boshaftigkeit dürfen wir sagen: In der grün-roten politischen Landschaft und Gesellschaft der Stadt Bern kommt es eigentlich besser an, wenn die Frauen statt der Männer Eishockey-Meister werden.
Er, der mit Herzblut bei Biel und Olten gute Arbeit geleistet hat und zweimal schlecht belohnt wurde. In Biel kam Törmänen zurück und in Olten meinte man, es liegt am Trainer. Alles Gute Lars!